Die neue Kapelle
Die Sonnenuhren der Kapelle
Sonnenuhren werden üblicherweise “zur Sonne hin” – also an der Südseite eines Gebäudes angebracht. Der Turm der Rottmooser Kapelle hat keine Südseite. Es sind daher zwei Sonnenuhren angebracht – eine an der Ostwand und eine an der Westwand des Turms. Sie sind als gravierte Metallplatten ausgeführt, die u. a. das Logo des Fördervereins zeigen.
Die beiden Sonnenuhren zeigen nicht die Mitteleuropäische Zeit (MEZ), sondern die Wahre Ortszeit (Wasserburger Wahre Zeit).
Die Sonnenuhr an der Ostwand des Turms zeigt die Stunden seit Sonnenaufgang an.
Die Sonnenuhr an der Westwand des Turms zeigt die Stunden bis Sonnenuntergang an.
Die Sonnenuhren am Kapellenturm wurden von dem Mathematiker Willy Bachmann, Richrath bei Düsseldorf, konstruiert und gestaltet.
Willy Bachmann berechnet und konstruiert Sonnenuhren seit 1980. Seine bekanntesten Uhren stehen im Terrassengarten des ehemaligen Zisterzienserklosters Kamp am Niederrhein und an der Rheinuferpromenade in der Düsseldorfer Altstadt.
Willy Bachmann ist Mitglied im Fachkreis Sonnenuhren in der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie und Mitverfasser des Standardwerks über die Sonnenuhren in Deutschland und der Schweiz*.
Sonnenuhren in Wasserburg
Auszug aus einem Vortrag von Willy Bachmann, gehalten am 26. September 2012 in Wasserburg mit dem Titel „Sonnenuhren in Rottmoos, Wasserburg und Oberbayern – Zur Geschichte eines Kulturguts“.
In Wasserburg am Inn sind neun bedeutende Sonnenuhren bekannt. Es sind
– vier historische Sonnenuhren aus dem 15. bis 19. Jahrhundert
– eine erneuerte Sonnenuhr an der Stelle einer historischen Sonnenuhr
– zwei moderne Sonnenuhren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
– zwei moderne Sonnenuhren an der Kapelle von Rottmoos von 2012.
Damit ist Wasserburg eine im deutschen Vergleich herausragend sonnenuhrfreundliche Stadt, es kommt ungefähr eine Sonnenuhr auf 1300 Einwohner. Das ist etwa das 5-fache des deutschen Durchschnitts mit einer Sonnenuhr pro 6500 Einwohner.
Als historische Sonnenuhren bezeichnen wir solche, die noch vor der Einführung der gesetzlichen Zonen-Zeit MEZ (1893) hergestellt wurden und die Wahre Ortszeit (hier: Wahre Ortszeit von Wasserburg) anzeigen.
Zu den historischen Sonnenuhren von Wasserburg
- Die älteste Sonnenuhr von Wasserburg befindet sich an der Innseite des Brucktors, ganz oben unterhalb des Zinnenkranzes. Sie stammt vermutlich aus den 1560er Jahren, wurde mehrfach restauriert und zeigt die Wahre Ortszeit von Wasserburg an. Unter dem Zifferblatt befindet sich der denkwürdige Spruch „Die Sonn keen Stund zeigt an, wo man nit Sterben kann“.
- Die kürzlich restaurierte Sonnenuhr am Schloss Weikertsham dürfte ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert, der Entstehungszeit des Gebäudes, stammen.
- An der Südseite der Kirche des Klosters Attel befindet sich eine barocke Sonnenuhr aus dem Jahr 1713, jedoch in mangelhaftem Zustand; die bildliche Darstellung ist gar nicht mehr, die Bezifferung kaum noch zu erkennen.
- Am Kaspar-Aiblinger-Platz in der Altstadt, am Haus des Malers Breit, gibt die Inschrift auf dem Zifferblatt der Sonnenuhr an, dass diese 1881 entstanden und 2007 restauriert worden ist.
Auch die drei letztgenannten Sonnenuhren zeigen jeweils die Wahre Ortszeit von Wasserburg an.
Informationen zu den anderen Sonnenuhren von Wasserburg
- Am Haus „Stechl Keller“ neben der Marienkirche wurde 2003 eine Sonnenuhr angebracht, die eine Vorgänger-Uhr ersetzt. Sie zeigt die heutige Sommerzeit (Inschrift: „GMT+2H“ = Greenwich Mean Time + 2 Stunden) statt der früher üblichen Wahren Ortszeit an.
- Künstlerisch gestaltete, interessante Sonnenuhren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden wir
– am Luitpold-Gymnasium
Die Uhr am Gymnasium zeigt zusätzlich zu den Stunden des Tages die Sonnenwenden (21.6. und 21.12.) und die Tagundnachtgleichen (21.3. und 23.9.) an.
– an dem Privathaus „Am Wuhrbach 1“
Die in Gelb- und Rottönen gehaltene Uhr Am Wuhrbach zeigt auf dem großen Zifferblatt den Sonnengott Helios, der den von Flammen umgebenen Sonnenwagen lenkt.
– an der Kapelle des Betreuungshofs Wasserburg-Rottmoos
Die völlig neue Zwillingssonnenuhr (errichtet 2012) befindet sich am Turm der Kapelle des Betreuungshofs Rottmoos-Wasserburg.
Zur Geschichte der Sonnenuhren
Sonnenuhren sind bereits seit der Steinzeit bekannt. Diese ersten Sonnenuhren dienten lediglich zur Anzeige oder Feststellung von kalendarischen Informationen, die dem jahreszeitlichen Stand der Sonne entsprachen wie zum Beispiel Sonnen-wenden (heute dem Sommeranfang am 21. Juni und dem Winteranfang am 21. Dezember entsprechend) oder Tagundnachtgleichen (Frühlings-/Herbstanfang). Man bezeichnet diese frühen Sonnenuhren daher auch als Sonnenobservatorien.
Das älteste bekannte derartige Observatorium befindet sich bei Goseck in Sachsen-Anhalt; es ist ein kreisförmiges Erdwerk mit Palisadenringen, stammt aus der Zeit um 4800 v. Chr. und ist damit rund 2000 Jahre älter als das bekanntere Kalenderwerk Stonehenge in England in Form einer monumentalen Steinsetzung.
Sonnenuhren mit einer Tageseinteilung sind seit der Antike bekannt. Vermutlich waren die Ägypter die ersten, die Sonnenuhren mit einer Stundeneinteilung verwendeten.
Die älteste bekannte Sonnenuhr mit einer Tagesstundeneinteilung stammt aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. aus der Zeit des Pharaos Thutmosis III. Bei den Ägyptern dienten auch Obelisken als monumentale Schattenwerfer zur Zeitanzeige auf öffentlichen Plätzen.
In der Barockzeit, der Blütezeit der Sonnenuhren, fand man die lautlosen Zeitanzeiger an fast jeder Kirche oder Kapelle. Die Sonnenuhren waren die öffentlichen Uhren dieser Zeit, denn mechanische Uhren waren sehr teuer, und nicht jede Pfarrei oder Gemeinde konnte sich eine solche leisten. So wurden Sonnenuhren meist auf eine nach Süden ausgerichtete Kirchenwand gemalt und mit einer religiösen Darstellung oder künstlerischen barocken Elementen verziert. Eine Zeitangabe auf eine volle oder halbe Stunde war dabei völlig ausreichend.
Mit der Einführung der Mitteleuropäischen Zeit (MEZ) als gesetzliche Zeit zum 1. April 1893 – notwendig geworden vor allem durch die Eisenbahnfahrpläne – war in Deutschland das Ende der Sonnenuhren gekommen. Denn die MEZ richtet sich nicht mehr nach dem Stand der Sonne am jeweiligen Ort (Wahre Ortszeit), sondern es wurde für ganz Mitteleuropa die Wahre Ortszeit des 15. Meridians (Görlitz/Zgorzelec an der Lausitzer Neiße in Deutschland/Polen) verbindlich. Durch diese Festlegung gehen seither praktisch alle Sonnenuhren „falsch“.
Heute gibt eine hochgenaue Atomuhr die Zeit vor und nicht mehr die Sonne; allerdings wird die durch die Atomuhr gezählte Zeit regelmäßig am Sonnenstand – letzlich also an einer Sonnenuhr – korrigiert. Diese Korrektur wird notwendig durch die ständige Verlangsamung der Erdrotation.
Zeitanzeige an Sonnenuhren
Neben der Anzeige der Wahren Ortszeit ist die Anzeige von „Babylonischen Stunden“ und „Italischen Stunden“ verbreitet.
Babylonische Stunden
Eine Zeitanzeige, bei der die Stundenzählung des Tages mit dem Sonnenaufgang beginnt, heißt in der Fachsprache der Gnomonik „Zeitanzeige in babylonischen Stunden” (Gnomonik ist die Lehre von den Sonnenuhren.). Das ist eine Erinnerung an die alten Babylonier, die in der Antike exakt funktionierende Sonnenuhren entworfen und hergestellt haben. Auch Ägypter, Römer und Griechen zählten die Zeit ab dem Sonnenaufgang.
In Oberbayern sind zahlreiche historische Sonnenuhren mit der Anzeige der babylonischen Stundenzählung erhalten geblieben, z. B. an der
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- Kirche in Kirchdorf bei Haag
(mit einer Stundenzählung von 1 bis 10) - Frauenkirche in München (Bild rechts-oben)
- Benediktinerabtei Scheyern (Bild rechts-unten).
- Kirche in Kirchdorf bei Haag
Symbolik der Babylonischen Stunden
Die aufgehende Sonne soll den Beginn unseres Lebens darstellen. Die Stunden, die aufwärts gezählt werden, können wir auch als die Meilensteine im Laufe unseres Lebens auffassen. Nach den ersten 6 Meilensteinen (als Stunden dargestellt) läuft der Schatten aus dem Zifferblatt heraus – der weitere Verlauf und das Ende unseres Lebens ist unbestimmt.
Italische Stunden
Eine Zeitanzeige, bei der der Sonnenuntergang den Anfangs- und Endpunkt der Stundenzählung darstellt, heißt in der Fachsprache der Gnomonik “italische Stunden”. Diese Bezeichning ist eine Erinnerung an das ehemalige Volk der Italiker, die in vorrömischer Zeit einen Teil der italischen Halbinsel besiedelten. Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war diese Art der Zeitanzeige in Italien und der Schweiz, vor allem im Tessin, gebräuchlich. Die Bauern und Reisenden konnten damit direkt ablesen, wieviel Zeit bis zum Sonnenuntergang verbleibt, um z. B. noch auf dem Feld arbei-ten zu können, oder ob es möglich war, einen Bergpass noch vor Eintritt der Dämmerung zu überqueren.
In Italien und anderen Ländern des Mittelmeerraums gilt der Sonnenuntergang noch heute als Höhepunkt des Tages, zu dem sich die Familie nach der Arbeit auf der “Piazza”, dem öffentlichen Platz, trifft.
Da der Sonnenuntergang kein feststehender Termin ist, sondern sich jeden Tag zeitlich verschiebt, hatte Johann Wolfgang von Goethe auf seinen Reisen nach Italien große Schwierigkeiten beim Verständnis dieser Stundenzählung. Gegenüber seiner Taschenuhr läuteten die Glocken zu scheinbar unerklärlichen sich ändernden Zeiten. In seinem “Tagebuch der italienischen Reise 1786” beschreibt er seine Probleme und versucht die Zeitrechnung mit Hilfe einer selbstgeschaffenen Umrechnungstabelle zu verstehen.
Die historischen Sonnenuhren an der Münchener Frauenkirche und im Innenhof der Benediktinerabtei Scheyern zeigen (auch) italische Stunden an.
Symbolik der Italischen Stunden
Die untergehende Sonne soll das Ende unseres Lebens darstellen. Die Sonnenuhr zeigt uns an, dass die Zeit verrinnt. Der Lichtfleck des Gnomons läuft dabei rückwärts zählend durch die Stundenlinien: Es ist ein Countdown bis zum Untergang, währenddessen sich der Mensch Gedanken über den ausstehenden Teil seines Lebens machen soll. Ist der (Sonnen-) Untergang erreicht, beginnt am nächsten Morgen ein neuer Zyklus (siehe Babylonische Stunden).
Neben der Wahren Ortszeit, den Babylonischen und Italischen Stunden gibt es noch viele andere Anzeigemöglichkeiten. Auf manchen Sonnenuhren sind gleich zwei oder drei Anzeigemöglichkeiten nebeneinander/übereinander aufgemalt. Diese Sonnenuhrzifferblätter sind ein – für den Laien – unübersichtliches Gewirr von Geraden und Kurven.
Franz Meier
Quellen
- * Sonnenuhren Deutschland und Schweiz; Katalog der ortsfesten Sonnenuhren in Deutschland und der Schweiz mit einer
Einführung in die Sonnenuhren-Kunde, Hugo Philipp; Daniel Roth; Willy Bachmann, Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, 1994., kartoniert, ISBN: 3923422121 - „Sonnenuhren in Rottmoos, Wasserburg und Oberbayern – Zur Geschichte eines Kulturguts“, Vortrag von Willy Bachmann, Richrath,
26. September 2012 in Wasserburg.